Es gibt Völker mit einem eigenen Nationalstaat und andere ohne einen eigenen solchen, die auf dem Territorium eines Nationalstaates leben – wie die Sorben, die auf deutschem Boden leben und sich dort wohlfühlen, ohne das Bedürfnis nach einem eigenen Staat zu haben, oder die Basken und die Schotten, denen es auf dem Boden der Nationalstaaten, auf welchen sie leben, allmählich zu eng wird, oder aber solche, die von ihren Gastnationen „in den Schwitzkasten genommen werden“ wie die Rohyngia in Myanmar, die Kurden in der Türkei, dem Iran, dem Irak und in Syrien.
Wir sollten auf die Völker ohne eigenes Staatsgebiet nicht geringschätzig herabschauen, weil sie ärmer sind als die anderen, und sie, wenn sie gegen ihr Elend einmal aufbegehren, nicht gleich als Terroristen beschimpfen – denn über allen diesen Völkern schwebt ein Rechtsanspruch: das Selbstbestimmungsrecht der Völker! Das gilt auch für Katalonien, auch wenn nicht alle Katalanen davon Gebrauch machen wollen. Carles Puigdemont hat sich nach Brüssel begeben, nicht um dort um Asyl nachzusuchen, sondern um seine politische Arbeit von dort aus fortzusetzen. Die Optik des Vorganges ist jedoch die, dass er sich schutzsuchend unter das europäische Dach geflüchtet hat. Und was tut Europa? Europa duckt sich feige weg und hat nichts dazu zu sagen. Es lässt den Mann im Regen stehen und drückt sich vor einer Vermittlung zwischen der spanischen Regierung und den Katalanen wie zuvor der spanische König.
So kann das zusammenwachsende Europa nicht an internationalem Ansehen gewinnen! Europa sollte sich im Angesicht dieses Konfliktes zu einer qualifizierten, besänftigenden aber auch wegweisenden Stellungnahme aufraffen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker zur Grundlage dieser Stellungnahme machen. Es ist schon verwunderlich, dass in der spanischen Verfassung das Wort „Rebellion“ vorkommt. Die Voraussetzung für Rebellion ist Unterdrückung – und die sollte es doch in einer gut funktionierenden Demokratie gar nicht geben! Oder ist das in Spanien etwa anders, Herr Rajoy? Otfried Schrot
Teilen, Hinweis der Redaktion, Kommentieren und Bewerten in den sozialen Netzwerken und in der Bürgerredaktion: