SZ vom 18.02.2014, Seite 17, Titel "Persönlichkeitsdefizite erkennen"
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Leserbrief zu
Fall Edathy: Verfolgung eines strafrechtlich Unschuldigen?
von Heribert Prantl in der SZ vom 15/16.2.2014
Herr Prantl hat wie immer Recht, wenn er die staatliche Macht in ihre Grenzen weist, indem er detailliert erläutert, warum bestimmte Moralvorstellungen nicht mit dem Strafrecht durchgesetzt werden können, auch wenn dies gerne bei bestimmten Straftaten chormäßg (BILD, Gerd Schröder, Til Schweiger) gefordert wird. Die Staatsmacht muss, als Exekutive oder Judikative, hinsichtlich missbräuchlicher Machtausübung im Auge behalten werden, denn von ihr und nicht vom Krethi und Plethi-Bürger wurden in der Menschheitsgeschichte die großen Verbrechen begangen
Dass Moral und Strafrecht von den meisten Bürger nicht auseinander gehalten werden können und Aufklärer wie Prantl, immer wieder die Unterschiede erklären müssen, zeigt den Analphabetismus-Level auch einer bürgerlichen Leserschaft bezüglich Ihres Rechtsstaats.
Trotzdem ist zum Fall Edathy folgendes anzumerken:
1. Schon rein logischerweise kann davon ausgegangen werden, dass Herr Edathy von niemandem, auch nicht von seinen Genossen, über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft informiert wurde. Er ist Intelligent genug, um 1+ 1 zusammen zu zählen. Mitte November 2013 erfährt er über die Medien, das in Toronto ein Kinderporno-Ring ausgehoben wurde. Weil er weiß, dass er selbst mehrere Jahre lang von einer derartigen Firma etwas gekauft hatte, liegt es nahe, dass auch er nun im Visier der Strafermittler ist. Bereits am 27. November beauftragte Edathy einen Rechtsanwalt, der bei verschiedenen Staatsanwaltschaften herauszufinden versuchte, ob ein Ermittlungsverfahren gegen seinen Mandanten anhängig ist. Erfahren hat der Anwalt wohl nichts, trotzdem deutete Edathy, die Tatsache, dass er bei der Regierungsbildung trotz seines erfolgreichen NSU-Ausschussvorsitzes vollkommen leer ausgegangen war, richtig und ging davon aus, dass dies wohl etwas mit der Kanada-Sache zu tun haben musste. Er meldete sich daraufhin ab Januar krank und als sich die Sache weiter zuspitzte, reagierte er mit der Niederlegung seines Bundestagsmandats. Er zog damit noch schneller berufliche Konsequenzen als Frau Kässmann. Dass seine Mandatsniederlegung doch nicht mit einer Erkrankung zusammenhing, erfuhren wir, die Öffentlichkeit, erst einige Tage nach seiner Mandatsniederlgung.
Edathys Aussage, dass er von niemand informiert worden sei, ist aufgrund dieses Sachverhalts sehr glaubwürdig. Er ist auch intelligent genug, um zu wissen, dass er nach Bekanntwerden seiner pädophilen Vorlieben politisch erledigt ist, auch wenn das Material, das er in Kanada gekauft hatte, keinen Straftatbestand erfüllt.
Erstaunlich nur, dass er das nicht erkannte, bevor er diese Fotos kaufte. Bei derartigen Bedürfnissen setzt die Vernunft wohl tatsächlich komplett aus.
2. Deshalb, und nur deshalb müsste anhand dieses Falles endlich eine Diskussion in Gang kommen, die schon bei dem Fall Ronald Schill und vor allem bei Dominique Strauss-Kahn hätte beginnen müssen: Wie kann man bei einer Person vor der Berufung/Wahl in höhere Ämter nicht nur die intellektuelle Adäquanz prüfen, sondern auch gravierende Persönlichkeitsdefizite erkennen, die die Übernahme einer derartigen Aufgabe verbieten? Da wird es heikel, denn am schwierigsten wäre es, Methoden und Kriterien zu entwickeln, die auch für die Überprüften akzeptabel sind.
Angesichts der Tatsache, dass die deutsche Justiz in Richterämtern zahlreiche Schills beherbergt, die im Laufe ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit erheblichen Schaden anrichten und die Vorstellung, dass ein Sex-Meniac wie Strauss-Kahn - bei ihm ging es ja nicht nur um den Blow-Job von einer Praktikantin, sondern um exzessive Sex-Orgien mit Prostituierten, tatsächlich IWF- Chef (!) war und fast französischer Präsident geworden wäre, erscheint es unumgänglich diese diffizile Aufgabe in Angriff zu nehmen. Zumindest diskursiv.
Die Geschichte ist voll von Psycho-Krüppeln, die unermessliches Leid über Millionen Menschen gebracht haben. Einer, Wilhelm II., den man als Kind wegen seines verkrüppelten Arms bis auf Blut gequält hat und der diese Qual potenziert an 'sein Volk' weitergegeben hat, ist zur Zeit ohnehin im Fokus. Auch hier wurde ein Opfer Täter.
Tolstois Aussage über die glücklichen Familien gilt auch für Individuen: Glückliche Menschen gleichen einander, nur die Unglücklichen sind auf ihr eigene Art unglücklich. Man sollte sie keinesfalls in Positionen hieven, in denen sie andere an ihrem Unglück teilhaben lassen können.
Direkt unter dem Artikel von Prantl schreibt Rechtsanwalt Kaleck über einen Politiker, der aufgrund von gravierenden Persönlichkeitsdefiziten, nie das Amt hätte bekommen dürfen, in dem er ungehindert und noch immer unbestraft und ohne einen Hauch von Schuldeinsicht, die Kriegsverbrechen in Abu Ghraib begehen konnte: Donald Rumsfeld.