ISLAMISTISCHER TERROR, Politiker in Todesangst, Von Arne Perras SZ vom 21. 10. 2013, S. 4 (gedruckt)
- von Jürgen Jung
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ISLAMISTISCHER TERROR, Politiker in Todesangst, Von Arne Perras
SZ vom 21. 10. 2013, S. 4
Es ist bedrückend aber leider exemplarisch für unsere Medienlandschaft, wie oberflächlich-einseitig und v. a. bar jeder westlichen Selbstkritik das in der Tat beunruhigende Thema des „islamistischen Terrors“ in dem Artikel abgehandelt wird.
Als wenn dieser Terror aus heiterem Himmel ohne jedes Zutun des Westens über die Welt hereingebrochen wäre, als wenn der islamistische Fundamentalismus nicht ein direktes Resultat des europäischen Kolonialismus wäre. Die ägyptische Moslembruderschaft, Keimzelle des Islamismus, wurde 1928 mit der klaren Stoßrichtung gegen die britische Fremdherrschaft gegründet.
Angesichts der Verwüstungen, mit denen die USA die moslemischen Länder Afghanistan, Irak, Libyen – um nur die letzten und wichtigsten zu nennen – heimgesucht haben, bedarf es wahrlich keiner „Trainigslager“ mehr, in denen zu Selbstmordattentaten – so Perras - „indoktriniert“ wird. In Palästina beispielsweise sind ca. 55% aller Selbstmordattentäter Leidtragende der israelischen Politik der Häuserzerstörung gewesen.
Und was den „Aufbau einer neuen Staatlichkeit unter dem Schirm und Einfluss der Nato-Staaten“ betrifft – das Resultat sind „failed states“, deren zumeist vom Westen finanzierte Führer ohnmächtig - eine Unzahl von Toten hervorrufende - völkerrechtswidrige Drohnenangriffe der USA hinnehmen oder gar heimlich befürworten.
Als wenn die USA je darum besorgt gewesen wären, dass sich „demokratische Prozesse entfalten können“. Als die „radikal-islamische“ Hamas die anerkanntermaßen freie Wahl in Palästina 2006 mit überwältigender Mehrheit gewann, hat Israel – den Westen im Gefolge - das Ergebnis nicht anerkannt und den Gaza-Streifen mit einer Blockade, d. h. mit einer völkerrechtswidrigen Kollektivstrafe belegt.
Es ging bei den westlichen Interventionen in der muslimischen Welt nie um die Werte unserer Zivilisation, sondern immer nur um unsere Interessen. D. h. der Westen bringt mit seiner genau an diesen orientierten Politik die Terroristen hervor, die zu vernichten er sich dann hypokritisch gezwungen sieht. Peter Ustinow: „Krieg ist der Terror der Reichen, Terror der Krieg der Armen.“
In einer überraschend schnellen Antwort versucht Arne Perras sich zu rechtfertigen, indem er darauf hinweist, dass es ihm nicht darum ging, „die Ursachen des Terrors zu analysieren, sondern deren Auswirkungen auf die Politik im betroffenen Pakistan einzukreisen“. Und er stimmt mir zu, „dass die westliche Diskussion zu einseitig ist und auch häufig zu kurz greift, vor allem was die langfristigen Zusammenhänge angeht.“ Immerhin!
Meine Reaktion darauf (vom 22. Oktober 2013 11:23:29 MESZ)
Lieber Herr Perras,
danke für ihr überraschende Antwort. Ich habe damit in keiner Weise gerechnet, da mir nicht klar war, daß so ein Leserbrief offensichtlich gleich an den Autor weitergeleitet wird.
Es war mir natürlich nicht entgangen, daß es keineswegs Ihre Absicht war „die Ursachen des Terrors zu analysieren“. Wenn Sie dessen „Auswirkungen auf die Politik im betroffenen Pakistan einzukreisen“ sich bemüht haben – ein selbstverständlich legitimes Unterfangen -, dann ist Ihnen dies durchaus gelungen.
Das Problem scheint mir aber darin zu liegen, daß Ihr emphatischer Versuch, „die psychologischen Auswirkungen“ des Terrors auf die häufig (im Falle Pakistans etwa qua Militärhilfe) vom Westen finanzierten politischen Eliten der betroffenen Länder darzustellen, hierzulande bestehende Vorurteile gegenüber dem Islam und seinen Anhängern („So sind sie halt, die Moslems, der Islam!“) eher zu bestärken geeignet ist - Wasser auf die Mühlen der Reaktionäre und Kulturkämpfer -, anstatt wenigstens anzudeuten, auf welchem Hintergrund allein sich der „islamistische Terrorismus“ verstehen läßt.
In diesem Zusammenhang – so denke ich - hat jeder aufgeklärte, in der Öffentlichkeit wirkende Zeitgenosse zu allererst sich der Tugend der Selbstkritik zu befleißigen. Und da sind wir natürlich ganz schnell bei den Verheerungen, die wir Europäer (und zu denen muß man welthistorisch auch die USA rechnen) überall auf der Welt angerichtet haben, die noch immer unter den Folgen von Kolonialismus und Imperialismus leidet. Der auch gewaltsame Widerstand der Völker gegen die damit einhergehende und immer noch andauernde (!), wenn auch zumeist verschleierte Ausbeutung und Unterdrückung wurde ja schon immer gern als Terrorismus diffamiert. Aber all das ist gerade Ihnen als ehemaligem Afrika-Korrespondenten sicher geläufig.
Möglicherweise kann die Gewalt in Pakistan tatsächlich „nicht ausreichend mit der amerikanischen Intervention in Afghanistan oder den Drohnen-Angriffen erklärt werden“. Ich gebe aber zu bedenken, daß die kulturellen Verwüstungen, die mit den im Grunde seit Jahrhunderten andauernden imperialistischen Interventionen zumeist einhergingen, haben ja nicht nur die Rückbesinnung auf die eigenen Traditionen, sondern auch viel Verzweiflung, Hass und – ja – Irrationalität hervorgerufen, die sich dann etwa in Selbstmordattentaten äußert.
Kurzum: wenn man die Auswirkungen des Terrors untersucht, dürfen – davon bin allerdings fest überzeugt - seine Ursachen nicht gänzlich außer Acht bleiben, sonst läuft man unweigerlich Gefahr, grassierende Vorurteile zu stabilisieren.
Mit einem herzlichen Gruß aus Pfaffenhofen,
Jürgen Jung
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