"Verurteilungskurs" ist leicht untertrieben.
- von Rechtsanwältin Dagmar Schön
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Richter und vor allem Vorsitzende von Schwurgerichtskammern sind mit ihren Eingriffsmöglichkeiten in Menschenleben die mächtigsten Menschen in unserem Land. Sie können weitgehend unkontrolliert Macht ausüben. Das wissen die meisten Bürger nicht. 'Revisionssichere Urteile' zu verfassen ist für sie nicht schwierig, denn in der Regel können sie logisch denken und deshalb schlüssige Geschichten formulieren. Die Revisionsanwälte sind dagegen in einer machtlosen Position wenn sie feststellen, dass entlastende Zeugenaussagen im Urteil nicht oder falsch dargestellt wurden. Von den Zeugenaussagen in landgerichtlichen Verfahren sind von der StPO KEINE Protokolle vorgesehen. Deshalb gibt es sie auch nicht. In der Regel. Die Verteidiger können die Protokollierung der Zeugenaussagen zwar beantragen, aber der Vorsitzende ist völlig frei, diesen Antrag abzulehnen. Das hat Herr Götzl natürlich auch bei den Protokollierungsanträgen der Tschäpe-Verteidiger getan. Tschäpe wird als Mittäterin zu den angeklagten Morden lebenslänglich verurteilt werden, daran gibt es für mich keinen Zweifel. Dagegen habe ich erhebliche Zweifel daran, dass das Urteil AUFGRUND der Hauptverhandlung getroffen wird. Im Ergebnis dürfte es schon von Anfang an feststehen. Eine anonyme Umfrage bei Strafverteidigern zu dieser Frage, hätte sicher ein interessantes Ergebnis. Die wenigsten glauben noch an den Osterhasen oder den Weihnachtsmann. Wie sagte neulich eine befreundete Verteidigerin: „Strafverteidigung ist Krieg.“
Herr Götzl hat Erfahrung darin, wie man revisionssichere Urteile auch bei unzureichender Beweislage schreibt. Nicht zuletzt deshalb ist er jetzt OLG-Richter. Es wird ihm nicht schwerfallen auch im NSU-Verfahren ein revisionssicheres Urteil zu schreiben.
Zweifel am Wahrheitsgehalt der im Urteil festgestellten Tatsachen werden nicht durchdringen, selbst wenn sie in zwei "Zwischenrufen aus Berlin" schon jetzt von Herrn Jörges sehr ausführlich beschrieben worden sind (stern v. 18.6. u 31.7.2014).
Ermin Brießmann, selbst über 30 Jahr lang Richter und die meisten davon Vorsitzender eines Strafsenats beim Bayerischen Obersten, hat das Schwurgerichtsurteil unter Vorsitz von Herrn Manfred Götzl in Sachen Benedikt T., mit dem Ausspruch „lebenslänglich mit erschwerter Schuld wegen Ermordung seiner Tante“, das im Jahr 2008 erging, sehr heftig kritisiert. Er war der Meinung, das Urteil hätte aufgrund der Beweislage nicht ergehen dürfen. Brießmann arbeitete an der Revision in diesem Verfahren mit. Als der 1. Strafsenat unter Herrn Nack auch diese Revision, wie meistens, gemäß § 349 Abs. 2 StPO ohne Begründung als 'offensichtlich unbegründet' innerhalb von wenigen Wochen zurückwies, zeigte Ermin Brießmann, ‚Richter am Bayer. Obersten Landesgericht a. D. und ehemaliges berufsrichterl. Mitglied des Bayer. Verfassungsgerichtshofs‘ den gesamten ersten Strafsenat und den Generalstaatsanwalt „wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung“ am 18. Februar 2010 an. (Die Strafanzeige von 74 Seiten liegt mir vor). Herr Brießmann bezeichnet in seiner Strafanzeige die Begründung des Urteilsspruches durch das Schwurgericht München unter dem Vorsitz von Herrn Götzl "für einen Juristen nicht nachvollziehbar". Das macht aber wohl nichts, wenn 'das Ergebnis' stimmt.
Deshalb hat Frau Bubrowski sehr recht, wenn sie als Fazit des 'Verurteilungskurses' schreibt: "Bei der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe haben die Tatrichter einen Beurteilungsspielraum. Das bedeutet: Wenn die Richter ihre Auffassung von Mittäterschaft plausibel darlegen und begründen, kann der Bundesgerichtshof das Urteil nicht aus diesem Grund aufheben."
In einem funktioniert unser Rechtssystem sehr gut: Es wird niemand in Staatsanwalts- oder Richterposten befördern, der durch seine Ermittlungen oder Tatsachenfeststellungen eine Staatskrise auslösen könnte. So eine Staatskrise wäre jedoch unvermeidbar, würde den Fragen und Unstimmigkeiten, die Herr Jörges beschrieben hat, nachgegangen werden.
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