Eine politische Kraft hat sich in Osteuropa besonders lange in den Urlaub verabschiedet:
der gesunde Menschenverstand.
Das sei an zwei Beispielen verdeutlicht:
1.Baltikum und Polen
Die baltischen Staaten und Polen haben von ihren Nachbarn im Laufe der Jahrhunderte viele
Misshandlungen erlebt. Schweden, Russen, Österreicher,Preußen, Hitler-Deutschland und
Stalin-Russland haben den vielfach Misshandelten Schauer des Entsetzens über den Rücken
gejagt und Mord und Totschlag verbreitet. Besonders die noch nicht lange zurückliegende
Stalin - Ära und die Einbindung in den Warschauer Pakt haben Osteuropa mit dem
Prägestempel der Angst vor Russland versehen. Die osteuropäischen Völker wollen daher
nun verständlicherweise in Ruhe, Frieden und frei von politischer Bevormundung leben.
Indes: Furcht, Angst,Zorn, vielleicht sogar Hass auf Russland sind schlechte Ratgeber. Die
Osteuropäer werden für alle Zeiten Nachbarn Russlands bleiben und Washington wird immer
fern, aber Moskau immer näher sein. Wenn Nachbarn sich auf der Straße begegnen, ist es
angenehmer, sich mit einem Lächeln zu begegnen statt mit einem Zähnefletschen. Daher
sollten die osteuropäischen NATO - Staaten unbeschadet ihrer Mitgliedschaft im
nordatlantischen Bündnis Freundschaftsverträge mit Russland anstreben. Das würde die
Schroffheit der Konfrontation der NATO mit Russland vermindern und damit auch die
Kriegsgefahr.
2.Ukraine
Wer die zahllosen Prügeleien von Abgeordneten im Parlament in Kiew im Fernsehen gesehen
hat, gewinnt den Eindruck, dass diese Leute sich erst dann an den Konferenztisch setzen,
nachdem sie sich zahllose blaue Flecken beigebracht haben. Bedauerlicherweise hat die
politische Entwicklung der letzten 24 Monate diesen Eindruck verfestigt: viele gewalttätige
Auseinandersetzungen, viele Tote, viele Zerstörungen, viele Flüchtlinge, keine soliden politischen Resultate. Bedauerlicherweise haben Washington und Moskau in diesem
aufgewühlten Strudel gleichermaßen im Trüben gefischt. Es hat der besonnene Steuermann gefehlt. Weder Wiktor Janukowitsch hat dieses Format erkennen lassen noch sein Nachfolger
Petro Poroschenko. Aus der Staubwolke der Streitigkeiten in der Ukraine scheint sich ein Faktum heraus zu kristallisieren: die Menschen dort haben nicht das Bedürfnis nach einer,
sondern nach drei Souveränitäten: Ukraine, Donezk und Lugansk.
3.Meine Empfehlung an Petro Poroschenko:
3.1.Behandeln Sie Donezk und Lugansk wie ein Vater seine Söhne behandelt, die ihm
eröffnen, dass sie nach Erlangung der Volljährigkeit und abgeschlossener Berufsausbildung aus dem Elternhaus ausziehen wollen, um eine berufliche Existenz und eine Familie zu
gründen. Er wird ihnen Glück wünschen und sie fragen, ob er ihnen bei ihrem Vorhaben
behilflich sein kann, aber er wird nicht auf sie schießen. Wenn die beiden ihren Onkel in
Moskau nun einmal mehr lieben als ihren Vater in Kiew, müssen Sie doch kein Frühstücksei
weniger essen, Herr Poroschenko!
3.2.Setzen Sie sich mit den Repräsentanten von Donezk und Lugansk mehrere Stunden lang in eine Badewanne mit Eiswasser, um Ihre Temperamente abzukühlen, und dann, in einen
Bademantel gehüllt, in einem gewärmten Raum an einen Konferenztisch, vor sich einen Notizblock und ein Glas Wodka - und dann handeln Sie in aller Ruhe mit einem freundlichen
Lächeln auf den Lippen den verfassungsmäßigen Übergang von einer auf drei Souveränitäten
in der Ukraine aus, ohne einen einzigen weiteren Toten zu produzieren. Dann, Herr
Poroschenko, tun Sie ein gutes Werk für den Frieden in der Ukraine, in Europa und in der Welt!
Zwei gute Ratschläge für Osteuropa
- von Otfried Schrot
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